Alice Kammerlanders Porzellanobjekte tragen so beredte Titel, wie: „Spinework“, „Beautiful Digestion“, „Demut“, „Sich auf die Zunge beißen“, „das Selbst und Ich“,„Garten Eden“, „Darmschlingenschale“ oder „Breathe“... Ihre Arbeit forscht im 

Schattenreich unbewusster Vorgänge, stülpt das Innerste nach Außen – das „Spürbare nicht das Sichtbare“, wie sie selbst betont. Mit größter Sorgfalt und Präzision legt sie körperliche Sensationen, Empfindungen, Schmerzen frei und lässt sie in ihrer zwiespältigen Schönheit erblühen.
(Alexandra Hennig, 3.3.2023)



Rede für Alice Kammerlander 

Guten Abend! 

Mein Name ist Alexandra Hennig. Ich bin Kunsthistorikerin und Kuratorin und freue mich hier in der Ministry of Artists bei Doris und Bruno ein paar Worte zur ersten Einzelausstellung von Alice Kammerlander sagen zu dürfen. 

Eines vorweg; Alice und ich kennen uns schon sehr lange und sind über die Zeit Freundinnen geworden. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine ideale Voraussetzung ist für das was ich hier tue... Kann und soll ich die Freundin ablegen und ganz die Kunsthistorikerin hervorholen? Bin ich objektiv oder doch eher befangen? Ich wollte versuchen mich einfach ganz auf die Werke zu konzentrieren, die ohnehin von Anfang an eine so anziehende, rätselhafte und intensive Wirkung auf mich ausübten. Diese verführerischen, fragilen Porzellanobjekte die dem Auge so schmeicheln – weswegen man sie am liebsten gleich in die Hand nehmen und berühren möchte... Aber wie es der Fall ist, erzählen diese Werke – am Leitfaden des Körpers, den Maria Lassnig treffend als die „realsten Realität“, die einer Künstlerin zur Verfügung steht, bezeichnet hat – komplexe und sehr persönliche Geschichten, die wiederum untrennbar mit der Person der Künstlerin, ihrem Körper, ihren inneren Bildern und Vorstellungen in Beziehung stehen. 

Ihre Betrachtung entfacht einen Reigen an Assoziationen und Empfindungen, von magischer Anziehung und lustvollem Begehren bis zu tiefer Abscheu und spürbarem Ekel. Erinnerungen an kitschig, bunte, barocke Porzellanfiguren in der Vitrine der Großmutter, die man selbstverständlich nie berühren, immer nur durch die trennende Glasscheibe bewundern durfte (in ihrer nutzlosen Herrlichkeit); genauso wie an die Herausforderungen in einem stark religiös geprägten Umfeld einen eigenen, emanzipierten Zugang zum Glauben zu finden; aber auch an frühe Schmerzerfahrungen, wie etwa einer angeborenen Skoliose der Wirbelsäule, einer blutenden Gebärmutter, einem krampfenden Darmverschluss... 

Alice Kammerlanders Porzellanobjekte, tragen so beredte Titel, wie: „Spinework“, „Beautiful Digestion“, „Demut“, „Sich auf die Zunge beißen“, „das Selbst und Ich“, „Garten Eden“, „Darmschlingenschale“ oder „Breathe“... Ihre Arbeit forscht im 

Schattenreich unbewusster Vorgänge, stülpt das Innerste nach Außen – das „Spürbare nicht das Sichtbare“, wie sie selbst betont. Mit größter Sorgfalt und Präzision legt sie körperliche Sensationen, Empfindungen, Schmerzen frei und lässt sie in ihrer zwiespältigen Schönheit erblühen. Wie Pflanzen hegt, pflegt und umsorgt sie ihre Objekte – hingebungsvoll und in wissenschaftlicher Genauigkeit. Sie achtet dabei akribisch auf die richtige Dosis an Sauerstoff und Feuchtigkeit, um dem Material die ideale Viskosität zur Bearbeitung, die oft Wochen in Anspruch nimmt, zu verleihen. Immer schwingt das der Künstlerin so wichtige Thema der Gesundheit mit – die für sie die Einheit von Geist, Körper und Natur voraussetzt. 

„Gesundheit ist das Schweigen der Organe“ sagte der französische Philosoph und Dichter Paul Valéry. 

Alice Kammerlanders üppig-wuchernde Porzellanobjekte sind nach dieser Maxime weder schweigsam noch gesund. Vielmehr scheinen sie zu schreien und um sich zu schlagen. Sie bluten, sie scheiden aus, sie atmen schwer, züngeln gierig, krallen sich fest, krümmen, krampfen und winden sich vor Schmerz und sichtlichem Unbehagen. So verstörend und befremdlich die dargestellten Organe und Körperteile – wie Augen, Zungen, einzelne Finger oder auch Nervenbahnen, Adern und Faszien in Szene gesetzt sind – so verführerisch und verspielt ranken sich florale Versatzstücke in Form von Blütenkelchen, Blättern und Schlingen, und halten lustvoll dagegen. 

Die Kunst der Verführung artikuliert sich in Kammerlanders Werken nicht zuletzt in der außergewöhnlichen Kunstfertigkeit mit der sie die Möglichkeiten des Materials präzise auslotet und erweitert; so etwa in der delikaten, pastelligen Farbpalette aus durchwegs selbst angefertigten Farben. Was ihr Farbspektrum anbelangt, hat Alice einen wertvollen Hinweis auf eine Quelle ihrer Inspiration gegeben; nämlich: Hieronimus Boschs rätselhaftes Tryptichon „Der Garten der Lüste“ (1490-1500). 

Zwischen Paradies und Unterwelt, Himmel und Hölle, Schöpfung und Apokalypse, Traum und Wirklichkeit entspinnt Bosch neben einem überbordenden Repertoire an phantasmagorischen Szenen und Kreaturen, eine beispiellose Farbenvielfalt auf die die Künstlerin lustvoll zugreift. [Pause] Zudem entbehren weder Boschs Paradiesgarten noch Kammerlanders Objekte der ironischen Doppelzüngigkeit: Paradies und Verderben, heilende Pflanze oder Gift, Psyche und Physis, Innen und Außen, 

Zerrissenheit und Harmonie, nichts davon existiert ohne seinen Widerpart alles ist porös und unentwirrbar ineinander verflochten... 

Dem könnte man entgegenhalten, dass Alice Kammerlander den Körper in ihren Werken in isolierte Teile zerlegt. Tatsächlich gehen die Wissenschaften ähnlich vor. 

Ich zitiere aus einem Artikel von Wolf Lotter aus einem brand eins-Heft (August 2021) zum Thema „Körper“: „Die Aufklärung und damit die Naturwissenschaften haben ihre Fortschritte dem Umstand zu verdanken, dass sie das Unbestimmte Große und Ganze in überschaubare Teile zerlegt haben. [...] Wir verstehen die Welt nur, wenn wir sie zerlegen, um sie dann für uns wieder zusammenzusetzten.“ 

... und sie neu zu denken... den Körper – wie beispielsweise der Neurowissenschaftler Antonio Damasio als „somatischen fühlenden Kosmos“ und „Bühne der Gefühle“ zu begreifen. 

In ihren höchst subjektiven Porzellanobjekten, denkt Alice Kammerlander den Körper immer wieder neu, zerlegt ihn, setzt ihn wieder und wieder zusammen, amalgamiert und veräußert was in ihr/in ihm ist. Auf diesem Pfad hat sie - wie wir hier sehen - bereits ein ansehnliches künstlerisches Werk geschaffen – ein junges Werk in dem die Weisheit eines halben Lebens und der Elan eines neuen Aufbruchs sichtbar werden! 

(3.3.2023 Alexandra Hennig)